Ausstellung: POWER VON DER EASTSIDE!

DT64-Ausstellung "Power von der Eastside" in Berlin | Foto: © Jörg Wagner
DT64-Ausstellung „Power von der Eastside“ in Berlin | Foto: © Jörg Wagner

POWER VON DER EASTSIDE!
DT64 – DAS JUGENDRADIO UND SEINE BEWEGUNG

Ausstellung und Präsentationsreihe
BERLIN, BROTFABRIK, 24.03. – 03.04.2022
Täglich 12:00-18:00 Uhr, bei Veranstaltungen länger

„Power von der Eastside!“ war der selbstbewusste Jingle-Slogan des beliebten Jugendradios DT64, mit dem am 31.12.1991 Schluss sein sollte, festgelegt im Artikel 36 des Einigungsvertrags zwischen BRD und DDR. Auf deren ehemaligem Territorium nun eine Medienlandschaftabsolut adäquat der bundesdeutschen entstehen sollte, in der entsprechend für ein übergreifendes Jugendradio kein Platz vorgesehen war. Zumal bei der Vorgeschichte als ein von wesentlichen politischen Leitlinien kaum abweichender, wenn auch moderne Sounds zwischen Hitparadehöhen und Nischenniederung ausstrahlender Medien-Vertreter des nun untergehenden bzw. beitretenden Staates.

Ein Sender allerdings, der dann doch ausreichend coole Grundlagen hatte, um ab dem Herbst 1989 eine äußerst freie und lebendige Art an Jugendradio zu entwickeln, für die sich zuerst zum RIAS-Frequenzübernahme-Coup im September 1990, vor allem aber ein Jahr später im Herbst 1991, eine jugendliche Massenbewegung zur Rettung formierte und den vertraglich scheinbar unumstößlich festgelegten Lauf der Geschichte doch noch leicht änderte.

„Power von der Eastside!“ als von Leipzig ausgehendes Projekt der Publikationsplattform ZONIC und des Soziokulturellen Zentrums naTo erinnert nun 30 Jahre später an dieses phänomenale Geschehen mit einer Ausstellungs- und Präsentationsreihe. Gezeigt werden soll, wie mit Mahnwachen, Demonstrationen, Unterschriftensammlungen, Straßenfesten, Konzerten, Raves, winterlichem Protest-Campen, Besetzungen von Sendern oder Staatskanzleien, Hungerstreiks und vielen anderen Aktionsformen sowie kluger politischer Argumentation und Kommunikation der notwendige  öffentliche Druck entstand. Wobei es sogar zu intensiver Ost-West-Kooperation kam, denn von den circa 80 DT64-Initiativen entstanden mehr als ein Viertel im Empfangsstreifen westlich der früheren deutsch-deutschen Grenze. Was dieses Massenengagement für ein Massenmedium zur wohl ersten tendenziell gesamtdeutschen sozialen Bewegung überhaupt machte. Die am Ende zumindest erreichte, dass DT64 vom MDR übernommen wurde. Der dann daraus MDR Sputnik machte und dem Sender später reformierend den Charakter raubte. Was das verbliebene Empfangsgebiet um die Chance brachte, erwachsen werdende Radio-Popkultur zu erfahren oder gar gemeinsam zu gestalten. Die Reflektionen dieser verlorenen Potentiale von DT64 und späterer Radio-Entwicklung steht daher genauso im Programm des Projekts wie Zeitreisen in die damals prägenden Sounds der jeweiligen Städte oder Nachfragen zur Westwahrnehmung.

Die mehrmedial inszenierte Rückschau basiert auf den Archiven von Heiko Hilker, der damals in der äußerst wichtigen Dresdner DT64-Initiative war, und Jörg Wagner, der als Ex-DT64-Journalist zu dessen Chronisten wurde. Wobei sich „Power von der Eastside!“ auch als öffentlicher Zwischenschritt in erster Wiederannäherung an das Thema versteht, als Auftakt archivierender wie analysierender Aufarbeitung. Denn es soll einerseits Vorarbeit für ein Buch leisten, das die Geschichte des Jugendradios DT64 sowie nicht zuletzt die außergewöhnliche Rettungsbewegung umfassend darstellt, als auch andererseits Ausgangspunkt für ein Archiv jener sein, das unter weiterer Reaktivierung des damaligen Netzwerks entstehen könnte, wobei die ersten Schritte in diese partizipative Richtung auch im Projekt bereits getätigt wurden. (Alexander Pehlemann)

Projektentwicklung und Koordination: Alexander Pehlemann (ZONIC)
Texte: Heiko Hilker, Jörg Wagner, Alexander Pehlemann
Ausstellungsdesign: Carsten Busse
Homepage: Maik Reichenbach
Koordination Berlin: Soundwatch Music Film Festival (Natalie Gravenor)
www.power-von-der-eastside.de
Gefördert von der Senatsverwaltung für Kultur und Europa Berlin

Begleitprogramm


DO 24.03.2022, 19 Uhr
Brotfabrik Bühne
„Power von der Eastside! DT64 – Das Jugendradio und seine Bewegung“
Vernissage
Mit Marion Brasch (radioeins/Ex-DT64), Jörg Wagner (radioeins/Ex-DT64), Heiko Hilker (Ex-DT64-Initiative Dresden) u. a.
„Power von der Eastside!“ war der selbstbewusste Slogan-Jingle des beliebten Jugendradios DT64, mit dem am 31.12.1991 Schluss sein sollte laut Einigungsvertrag. Er wurde aber auch zum Kampfruf der DT64-Rettungsbewegung, die sich dem – partiell sogar erfolgreich – entgegenstellte. Mit einer Ausstellung, begleitet von diversen Events, wird nun an diese medienpolitische Auseinandersetzung erinnert, in der eine extrem engagierte Massenminderheit, die auch im Westen wuchs, mit Phantasie und Energie für ihr Massenmedium aufstand.

Im Monitor: Marion Brasch am 31.12.1991 im DT64-Studio | Foto: © Jörg Wagner
Im Monitor: Marion Brasch am 31.12.1991 im DT64-Studio | Foto: © Jörg Wagner

SA 26.03.2022, 16 Uhr
Brotfabrik Bühne
Führung mit Alexander Pehlemann (Zonic/Leipzig)
Alexander Pehlemann, Herausgeber von Zonic und Kurator von „Power von der Eastside!“, führt durch die Ausstellung und erläutert die Motivationen und Hintergründe des Projekts. Die in seinem Fall durchaus persönliche sind, denn die Wurzeln der Publikationsplattform Zonic, die seit 1993 unter der Leitlinie „Kulturelle Randstandsblicke & Involvierungsmomente“ agiert, liegen in der DT64-Initiative der nordostdeutschen Universitätsstadt Greifswald. Aber auch die Zonic eigene Bemühung um die Aufarbeitung der Subkulturen des Ostblocks gründet letztlich auf der audiobiografischen Prägung durch die Sounds von DT64 in der zweiten Hälfte der 1980er.

SO 27.03.2022, 20 Uhr
Brotfabrik Kino
„Jugendradio DT64 – Chronik einer angekündigten Abwicklung“
(R: Ulrike Hemberger, Rainer Hällfritzsch, D, 1992, 50 min). Mit Filmgespräch.
Niemand war an der „Power von der Eastside!“ so nah und ausdauernd dran, wie die Westberliner Filmemacher Ulrike Hemberger und Rainer Hällfritzsch, die den historischen Moment spürten und dem dynamischen Geschehen von Herbst 1991 bis zum Frühjahr 1992 intensiv folgten, woraus sie eine dichte Dokumentation von hohem Spannungs- und Unterhaltungswert machten. Was auch interessant war, weil es eine Annäherung aus dem Westen war. Allerdings von einem Medienkollektiv ausgehend, das schon vor der Wende diverse Erkundungen in den Osten unternommen hatte. Auch darüber, aber vor allem über das Zustandekommen des Films allgemein reden Ulrike Hemberger und Rainer Hällfritzsch im Anschluss mit Natalie Gravenor (Soundwatch).
Wiederholung: SO 03.04.2022, 18 Uhr

DO 31.03.2022, 20 Uhr
Brotfabrik Bühne
The Great Rockradio B Swindle, oder: Jugendradio zwischen Todesstoß und Neuanfang.
Talk mit Silke Hasselmann, Jürgen Balitzki und Lutz Schramm. Moderation: Jörg Wagner
Die Freude über das Weiterleben von DT64 über den 31.12.1991 hinaus war groß, mischte sich aber bald mit einem Schock: der ORB dachte nicht an Kooperationen zur Fortführung von DT64, sondern etablierte ad hoc eine eigene Welle: Rockradio B. Mit kurz zuvor angeworbenen DT64-Leuten. 30 Jahre später blickt Jörg Wagner, der bei DT64 blieb, mit Teilen der Rockradio B-Crew auf die Rolle, die der kurzlebige Sender in der komplexen medienpolitischen Lage hatte. Ein Rückblick, der noch immer Potential für emotionale Aufwühlung hat, aber auch eine wenig betrachtete Facette im schwierigen Zusammenwachsen von Ost und West berührt.

SA 02.04.2022, 19 Uhr
Brotfabrik Bühne
Radio-Lounge: Sounds of DT64 – Die lange Nacht der Musikredaktion
Mit Wolfgang Martin, Lutz Schramm, Marion Brasch, Ronald Galenza, Jürgen Balitzki, Holger Luckas u.a.
Die „Power von der Eastside!“ drückte sich für viele besonders im Sound aus. Vor allem in den Spezial-Schienen, die ab 1986 etabliert wurden, mit Sendungen wie Parocktikum, Vibrationen, Montags extra, Freistil, Tendenz Hard bis Heavy, Dancehall, electronics u.v.a. In einer ausgedehnten Radio-Lounge-Show soll mit einigen der damals prägendsten Stimmen an magische Momente der DT64-Musikredaktion erinnert werden. Arrangiert als analytisch-anekdotischer Talk mit Tendenz zum DJ-Set und eingeleitet mit Ausschnitten aus Wolfgang Martins Buch „Wie die Westmusik ins Ostradio kam“, der damals als Chef der Redaktion die Freiräume wahrte.

SO 03.04.2022, 16 Uhr
Brotfabrik Bühne
„Power von der Eastside!“ Finissage & Ausblick
Bloß keine Welle machen? DT64s Nachhall bei Piraten- und Freien Radios
Moderation: Xenia Helms (Colaboradio/Freies Radio Berlin, Board Member AMARC Europe/Women’s International Network, Klangkünstlerin, Kulturnetzwerkerin)
DT64s Entwicklung vom DDR-Staatsfunk zu einer Bewegung, die gegen Medienkahlschlag und für Vielfalt, Experiment und Hörer*innen- Nähe stand, setzte Energien frei. Anfang der 1990er sendeten Piraten- und Freie Radios, parallel zu, mitunter sogar inspiriert von DT64, gegen Konzentration und Privatisierung der Radiolandschaft. Was von DT64 hallt als freie Radikale im Äther weiter? Wie haben sich Piraten und Freie Radios über die letzten 30 Jahre entwickelt? Ist Community Radio Landgang oder Untergang der Piraten? Und was ist “Radio” überhaupt noch heute im Zeitalter von Podcasts, Apps und Smartphones? Darüber diskutieren Radioaktivist*innen verschiedener Generationen.

Pressekontakt:
Natalie Gravenor
T. 0173 1327303
gravenor@filmokratiie.de