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Power von der Eastside! DT64 – Das Jugendradio und seine Bewegung. Ausstellung und Präsentationsreihe in Halle/Saale

Halle an der Saale wurde vor 30 Jahren, am 05.11.1993 zum Zentrum des DT64-Nachfolgers „mdr Sputnik“.

„Am Freitag um 18.03 Uhr nimmt die Sputnik-Mannschaft mit dem Politmagazin ‚Rush Hour‘ den Sendebetrieb auf, teilte der MDR am Donnerstag mit. Mit dem Umzug ist für die 39 festangestellten Sputnik-Mitarbeiter auch der Abschied von der veralteten Technik in den Berliner Studios verbunden, die noch von dem DDR-Vorgänger ‚DT 64‘ übernommen worden war. MDR Sputnik wird über Satellit ausgestrahlt.“ (ADN-lsa, 04.11.1993, 09:43 Uhr)

Tonbeispiel: Moderatorin Karla Schlender in der letzten Sendeminute aus dem Berliner Studio K6 übergibt ans Team in Halle mit Nachrichtensprecherin Doris Groth und Rasch-Hour-Moderator André Bochow, 17:59 Uhr (Satellit, mp3, stereo)

Eine Präsentationsreihe und Ausstellung vom 29.09.– 05.11.2023 im Puschkinhaus, Kardinal-Albrecht-Straße 6 laden alle DT64/Sputnik-Radio-Interessierte nach Halle ein. (Öffnungszeiten: Mo-Fr: 10-22 Uhr, Sa-So: 15-22 Uhr; Eintritt zur Ausstellung frei.)

Aus der Beschreibung:

„Power von der Eastside!“ war der selbstbewusste Slogan des einstigen DDR-Jugendradios DT64, mit dem am 31.12.1991 Schluss sein sollte, wie festgelegt in Artikel 36 des Einigungsvertrags zwischen BRD und DDR. Denn der bedeutete, dass auf deren ehemaligem Territorium eine Medienlandschaft adäquat der bundesdeutschen entstehen sollte, in der entsprechend für ein übergreifendes Jugendradio kein Platz vorgesehen war, dass zumal ein Medien-Vertreter des nun untergehenden bzw. beitretenden Staates war. DT64 jedoch war ein Sender, der zwar vor dem Herbst 1989 kaum von politischen Leitlinien abweichend agieren konnte, dem es ab Herbst 1989 aber gelang, eine äußerst freie und lebendige Art an Jugendradio zu entwickeln und auf der Höhe der Zeit sowie auf Augenhöhe mit der Hörerschaft auf die rasanten gesellschaftlichen Veränderungen zu reagieren. Was eine Identifikation erzeugte, die sich offenbarte, als sich im Herbst 1991 eine vor allem jugendliche Massenbewegung zur Rettung formierte und den vertraglich scheinbar unumstößlich festgelegten Lauf der Geschichte doch noch leicht änderte.

Mehr, u. a. der Mitschnitt „Wider den Sendern, die dem Kapitalismus den Soundtrack dudeln – Marion Brasch und Rex Joswig im Gespräch“: hier bei: Radio Corax

Die DT64-Singles-Raritäten im CD-Dreierpack

Foto: SECHZEHNZEHN
Foto: SECHZEHNZEHN

Im Gegensatz zu den hallo-AMIGA-Schallplatten, die nichts mit der Jugendsendung „HALLO“ des Senders „Stimme der DDR“ zu tun hatten, außer dass die Musik dort auch zu hören war, gab es AMIGA-Singles unter dem „echten“ Label „DT64“ des „Berliner Rundfunks“. SECHZEHNZEHN und Buschfunk haben verdienstvollerweise nun die Aufnahmen, remastert vom DDR-Musik-Nerd Marcus Heumann, in einer Dreifach-CD veröffentlicht. Auch wenn nicht alle Titel gleichermaßen begeistern werden, zumal aus mehreren Jahrzehnten Distanz mit inzwischen auch anderen musikalischen und Lebenserfahrungen betrachtet, ist diese Sammlung ein unvergleichbar kostbarer Schatz beat- und rockmusikalischer Experimente in der DDR.

Shop:
* die 3-Fach-CD bei Buschfunk
* die CD bei Amazon; auch als MP3 und Stream

Ergänzendes Audio: Hier erläutert Jugendradio-DT64-Musikchef Walter Bartel den wechselhaften Umgang mit Musik im DT64-Programm (rec.: 27.06.1989); Fragen: Jörg Wagner

Aus dem Booklet (Autor: Walter Cikan):

DIE DT64 SINGLES
Vor mehr als 50 Jahren begann DT64 in Zusammenarbeit mit den zuständigen Redakteuren und Produzenten von Radio DDR und Stimme der DDR mit den überall im Land entstandenen neuen Beatgruppen Songs zu produzieren und diese zu senden. Auf Grund des großen Interesses der Hörer suchte man nach weiteren Verbreitungsmöglichkeiten. So entstand in Koop mit dem VEB Deutsche Schallplatten/AMIGA die Idee der DT64-Single-Reihe. In der Folgezeit wurden auf Basis kontinuierlicher Abstimmung zwischen dem Staatlichen Rundfunk-Komitee und AMIGA Vereinbarungen über Produktionsvorhaben, sowie die gegenseitige Nutzung und Verbreitung der Musikaufnahmen getroffen. Da das Entstehen eigener neuer Lieder, noch dazu mit Texten in deutscher Sprache, ein für die Bands zunächst ungewohnter und mitunter auch komplizierter Prozess war, lagen im Musikarchiv des Rundfunks Mitte der sechziger Jahre nur wenige Aufnahmen dieser Art vor.

Ein spürbarer Aufschwung begann 1969/1970, wo im Rundfunk ca. 173 Titel (bis Ende 1973 etwa 450 Lieder) u. a. mit den Alexanders (Vorläufer von Panta Rhei), dem Horst Krüger Sextett, dem Orchester Klaus Lenz, dem Günther Fischer Quintett, dem Dresden Sextett, der Uve Schikora Combo, der Electra-Combo, der Modern Soul Band, den Nautiks, dem Ekkehard-Sander-Sextett, dem Joco Dev Sextett in Berlin, Leipzig, Weimar aufgenommen wurden. In diesem Jahr wurde (mit höchster Genehmigung) eine Arbeitsgruppe »Rhythmus 71« gebildet, der Komponisten, Textautoren, Interpreten gemeinsam mit Musikredakteuren/-produzenten wie Luise Mirsch, Klaus Schneider, Manfred Gustavus, Walter Bartel, Claudia Ninnig angehörten.

Eine Auswahl der dabei entstandenen Lieder wurde ab 1971 gemeinsam von Rundfunk, AMIGA und dem Fernsehen in diversen Sendungen und einer repräsentativen Abschlussveranstaltung vorgestellt. Seitens des Rundfunks waren das insbesondere das DT 64-Musikstudio mit (seit 1971 »DT-Metronom«) sowie »Frank’s Beatkiste« (Stimme der DDR) und die »DDR-Tipparade« (Radio DDR). AMIGA hatte bereits in den sechziger Jahren mit eigenen Plattenproduktionen wie »Big Beat I / II«, Thomas-Natschinski-Gruppe »Die Straße«, Theo-Schumann-Combo »Für junge Leute«, »Klaus Lenz für Fenz« begehrte Angebote vorgelegt und veröffentlichte auf »Rhythmus 71« einen Teil der neu entstandenen Songs.
Das DDR-Fernsehen stellte ebenfalls ab 1969 (bis 1972) in der Sendung »Notenbank« (Bernd Maywald) die Bands mit ihren neuen Titeln vor. (…)

Foto: SECHZEHNZEHN
Foto: SECHZEHNZEHN

„30 Jahre coloRadio, 30 Jahre Abschaltung von Jugendradio DT64 auf Raten“

Hagen Oppelt – Lutz Schramm -Tilo Sarfert – Lorenz Wiedemann – Jenz Steiner | Foto: Martin Uhlig

„Als coloRadio als Freies Radio für Dresden vor 30 Jahren erstmals auf Sendung ging, war Jugendradio DT64 bereits seit zwei Monaten Rundfunkgeschichte. Der Mitteldeutsche Rundfunk startete im Mai 1993 mit mdr Sputnik ein eigenes Jugendprogramm. Doch einige coloRadio- Sendungsmachende setzten das fort, was sie am Programm von DT64 schätzten und liebten: Sendungen, in denen Platz für schräge Töne war, in denen man Bands entdecken konnte, die auf keinem anderen Sender Airplay bekommen hätten. Der Musikjournalist Lutz Schramm vernetzte in seinen Sendungen Parocktikum und Vibrationen ganz nebenher Musiker*innen und Hörer*innen, gab ihnen ein Forum, eine Stimme – vor und nach der Wende.

Zum 30. coloRadio-Geburtstag sprach Jenz Steiner mit Lutz Schramm und den coloRadio-Sendunsmachenden Hagen Oppelt, Lorenz Wiedemann und Tilo Sarfert in den coloRadio-Studios im Dresdner Zentralwerk über den Einfluss von Jugendradio DT64 auf ihre Sendungen und auf subkulturelles Leben in Dresden und Sachsen, über Wege der Musikbeschaffung zu DDR-Zeiten und die Grenzen, die musikredaktionelles Arbeiten im Rundfunk der DDR hatte.“ (coloRadio)


Wer:
* Lutz Schramm, Ex-DT64 u. a. „Parocktikum“
* Hagen Oppelt, coloRadio, „Disharmonic Noise Conspiracy“
* Lorenz Wiedemann, coloRadio, „Schlagseite“
* Tilo Sarfert, coloRadio, „Buschfunk“
* Martin Uhlig, coloRadio „6 Saiten und ein Verzerrer“
* Jenz Steiner, coloRadio, Gesprächsleitung
Was: Gesprächsrunde über DT64, Freie Radios und Subkultur
Wann: rec. 08.07.2023, 13:30 Uhr
Wo: Dresden, Zentralwerk
Vgl.: freie-radios.net

Buch über DT64 erschienen

Heiko Hilker, der ehemalige Vorsitzende des Vereins „Freunde des Jugendradio DT64 e. V.“ und heutige Medienberater hat seine Sicht auf die damalige DT64-Radiobewegung als Buch veröffentlicht.

Wie kam es zu dieser Verbindung von Sender und seiner Hörerinnen und Hörern?
Wie entstand die „Jugendbewegung mit Radio“?
Welche gesellschaftlichen Ursachen hatte sie?
Was hinterlässt sie anderen Bewegungen?

Bestellungen bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen unter:
info[ät]rosalux[minus]sachsen[punkt]de, Tel: 0341-9608531
Kostenbeitrag: 15,00 Euro, für Mitglieder: 10,00 Euro

Siehe auch: https://sachsen.rosalux.de/publikation/id/43575/heiko-hilker-jugendradio-dt64-und-die-dt64-freundeskreise

Vor 50 Jahren

Das Gelände des Funkhauses Berlin im Januar 2014. Links Block E, in dem in der 5. Etage DT64 untergebracht war, rechts Block A. | Foto: © Kai Ludwig
Das Gelände des Funkhauses Berlin im Januar 2014. Links Block E, in dem in der 5. Etage DT64 untergebracht war, rechts Block A. | Foto: © Kai Ludwig

Kai Ludwig im Mai 2014

Vom 15. bis 18. Mai 1964 sendete der Rundfunk der DDR ein Sonderprogramm zum „Deutschlandtreffen der Jugend“ in Berlin. Die große Resonanz auf diese Sendungen mündete in das Nachmittagsmagazin „Jugendstudio DT64“, das vom 29. Juni 1964 an regelmäßig im Berliner Rundfunk lief. Zwischen 1981 und 1987 wurde daraus schließlich ein ganztägiges fünftes Programm aufgebaut.

Der somit bevorstehende 50. Geburtstag führte zu erneutem Interesse am Thema DT64. Allerdings scheint es sich dabei in größerem Maße um jene Spielart der Ostalgie zu handeln, die sich bereits 2013 in umfangreichen Beiträgen über die Serie von Konzerten äußerte, die 1988 in Berlin-Weißensee stattfand. In diesem Zusammenhang bemerkt ein Fernsehprofi zu vor kurzem ausgestrahlten Sendungen über die Jugendkultur in der DDR: „Die gezeigten Filmschnipsel sind allesamt weitestgehend bekannt.“

Ins Auge fällt dabei einmal mehr, wie DT64 als alleinstehendes Phänomen gesehen wird, ohne den Gesamtkontext des Rundfunks in der Berliner Nalepastraße zu betrachten. Besonders interessant ist dann der Umgang mit der Umbenennung von DT64 in MDR Sputnik (entgegen anderen Darstellungen handelte es sich um eine solche, vollzogen zum 1. Mai 1993). Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, wie Details der Geschichte des Rundfunks der DDR auch in Bezug auf die heutige Medienlandschaft interessanter sind, als es im ersten Moment scheinen könnte.

Weitgehend ignoriert werden bei alldem die Änderungen, die bereits vom Herbst 1990 an im Programm von DT64 vorgenommen wurden. Sie äußerten sich im Verschwinden erheblicher Teile des Wortprogramms und im September 1991 dann auch einer deutlichen Änderung der Musikfarbe.

Was dabei offensichtlich verdrängt wird ist der Umstand, wie hier bereits jene Entwicklungen begannen, die nach der Übernahme des Programms durch den Mitteldeutschen Rundfunk schließlich in deutliche Kritik des bisherigen Publikums mündeten. Charakteristisch dafür ist eine zufällige Runde, die sich Ende 1993 am Rande einer Produktion des Deutschlandsenders Kultur in das still daliegende Studio K13 zurückzog und dort „wir interessieren den Sender nicht mehr“ konstatierte.

Auffällig ist überdies, wie wenig im Vorfeld des anstehenden Geburtstags von den Mitarbeitern des „alten“ DT64 die Rede ist. Dem Vernehmen nach wollen diese das Jubiläum durchaus begehen – ohne die Öffentlichkeit, in den verbliebenen Räumen des Funkhauses Nalepastraße.

Es würde dabei auch abseits der Realitäten liegen, Formulierungen wie „unvergessen“ zu verwenden. Dies zeigt beispielhaft der Fall zweier Moderatoren der ersten Stunde, Karl-Heinz „Kalle“ Neumann und Gretel Ortner. Der Tod von Kalle Neumann vor rund einem Jahrzehnt blieb unbekannt, bis Veteranen des Berliner Rundfunks gezielt befragt wurden. Gretel Ortner schließlich ist selbst aus dem Gesichtsfeld dieses harten Kerns spurlos verschwunden.

Öffentlich gewürdigt wird der bevorstehende 50. Geburtstag von DT64 mit einer dreitägigen Veranstaltung im Berliner Kino Babylon. In diesem Rahmen gibt es Konzerte sowie sich teilweise wiederholende Vorführungen von Filmen und Archivmaterial. Hinzu kommen einzelne Diskussionsrunden mit Gästen aus dem Kreis jener Personen, die überhaupt noch an dieses Thema erinnert werden wollen (was eher die Ausnahme als die Regel zu sein scheint).

Auch über den Veranstaltungsort hinaus wirksam wird dieses Festival mit einem Sonderprogramm vom 8. Mai, 6.00 Uhr, bis zur Nacht zum 11. Mai, 2.00 Uhr. Terrestrisch zu hören sein wird dieses Programm allerdings nur am ersten Tag ab 19.00 Uhr, und zwar im Rahmen des Sendeplatzes von Pi-Radio im Sammelkanal „88vier“ der Medienanstalt Berlin-Brandenburg.

„88vier“ läuft auf UKW nur in Mono, was ironischerweise wieder an einen Aspekt von DT64 erinnert, nämlich das Problem fehlender Übertragungsleitungen, durch das auch noch 1986 in Teilen der DDR nur in Mono gesendet werden konnte. Speziell dort, wo BRD-Sender problemlos in Stereo zu empfangen waren, wirkte das zu diesem Zeitpunkt nur noch peinlich. Entsprechend übte das Staatliche Komitee für Rundfunk anscheinend massiven Druck auf die Deutsche Post aus, um eine durchgängige Stereoverbreitung von DT64 durchzusetzen.